Ein Jahr ist vergangen, seit ich meinen Brief an Herrn Parkinson geschrieben und ihm einen Deal vorgeschlagen habe. Und wisst ihr was? Obwohl ich meinen Teil des Deals mehr oder weniger erfolgreich eingehalten habe...
 >>Ja, Herr Parkinson ICH habe mich wenigstens bemüht, dich zu umarmen!! <<
... hat er sich leider nicht daran gehalten! Aber ich gebe nicht auf und teile hier nochmal meinen Brief, um den Deal nochmal zu bekräftigen. So! Und nun kommst Du, Herr Parkinson!



Lieber Herr Parkinson,
Soso, morgen ist also dein großer Tag. Ein außerordentlich großer Tag. Du bist seit 200 Jahren als neurodegenerative Erkrankunganerkannt. 200 Jahre! Wow, das muss man sich mal vor Augen führen:Das sind zwei Weltkriege plus die industrielle Revolution und die Entdeckung des Sauerstoffs. Oder deutlich mehr als Michael J. Fox, Ottfried Fischer, Mao Tse Tung und Katherine Hepburn zusammen. 

Und du? Nach 200 Jahren bewegst du dich immer noch nicht vom Fleck und verrätst niemandem dein Geheimnis; woher du kommst oder warum es dich gibt. Meinst du nicht, dass es langsam Zeit wird, dich zu offenbaren? Das kann manchmal sehr befreiend sein.


Nun mal ehrlich: Ist es dir nicht langweilig, wenn um dich herum alles in ständiger Bewegung ist, wenn großartige medizinische Errungenschaften die Gesundheit voranbringen und du nur stumm auf der Stelle stehst wie ein störrischer Esel?

Du wirst entweder ignoriert oder gemobbt und selten umarmt. Du bist ein Außenseiter. Weißt du, ich schleppe dich tagtäglich mit mir herum. Ignoranz gibt mir manchmal ein gutes Gefühl. An besondersguten Tagen verhöhne ich dich sogar. Ich tanze dich fort, lasse dich weit hinter mir zurück. Dann drehe ich mich um und strecke dir die Zunge heraus. BÄÄÄHHH! Und weißt du was? Ich habe dabei gar kein schlechtes Gewissen. 


Manchmal fühle ich mich von dir getrieben. Ich muss heute so viel wie möglich erledigen und erleben, bevor du endgültig die Oberhand gewinnst und deine Bewegungslosigkeit mich im Griff hat. Dank der Medizin und Begleittherapien kann ich diesen Punkt noch eine Weile länger hinauszögern und meinen Beruf weiter ausüben, meinen Kindern ein normales Leben bieten.  


Ich versuche ja auch das Beste aus dir zu machen, das Gute in dir zu finden. Und manchmal glaube ich, dass es so etwas tatsächlich gibt.Denn ohne dich hätte ich nie so viele neue Menschen kennengelernt, die mir ans Herz gewachsen sind. Und ich hätte nicht so viel neues ausprobiert, mich kreativ ausgetobt. Ich schiebe nichts mehr auf die lange Bank und sehe die Welt anders, denn Gesundheit ist nicht selbstverständlich. Und dennoch, Herr Parkinson, könnte ich gut und gerne auf dich verzichten!

Also, gib dir einen Ruck und verrate mir dein Geheimnis. Das dürfte doch nach 200 Jahren drin sein!


Ich schlage dir einen Deal vor: Während du (kurz) darüber nachdenkstumarme ich dich und wünsche dir ... ja, was soll ich dir denn wünschen? Viel unGlück? Alles unGute? Gar nicht so leicht, wenn unsere Schicksale so eng miteinander verknüpft sind.  

Ach was solls: Genieße einfach die Aufmerksamkeit, die du morgen bekommen wirst.

Bis dann, sei umarmt (und denk an den Deal!)
May