Was machen Parkies, wenn die Nacht zum Tag wird? Na tanzen, was sonst?
Ich hätte nie gedacht, dass ich den Walzer und die Grundschritte vom Tango ausgerechnet zwischen ein und drei Uhr nachts lernen würde. Aber so ist das unter Parkies, warum sollten wir Dinge auf den nächsten Tag schieben, wenn es in der Nacht genauso gut geht?

„Bist du auch nicht müde?“
„Nö“
„Dann lasst uns tanzen!“

Mit müden Füßen von der Tulip Gala (und den mörderischen roten Schuhen), stand ich nachts vor der Tür von Ulli und klingelte zaghaft. Schließlich war es ein Uhr in der Früh. „Ich komme“ brüllte es durch das Haus und etwas später machte er mir auf. Er war im OFF, hatte tagsüber die Tabletten falsch genommen und kam deshalb kaum von der Stelle, als er mich ins Wohnzimmer führte. „Moment, ich muss dir was zeigen“ sagte er, stellte laute Marschmusik an und marschierte in einem Affenzahn durch das Zimmer, als wäre er nie im Leben dem Parkinson begegnet, geschweige denn gerade eben im OFF gewesen. Und so kam es, dass mir Ulli in der Nacht ein paar Tanzschritte beibrachte. Sobald die Musik aus war, fiel er sofort wieder ins OFF – als würde sich ein Schalter umlegen. 

Wieso reagieren wir sofort auf diese Impulse, fragte ich mich. Und warum ist ausgerechnet Tango so anders als andere Tanz- oder Bewegungsformen? Ich fing an zu recherchieren und wurde tatsächlich relativ schnell fündig:


Es ist schon seit einigen Jahren bekannt, dass Tanzen einen besonders positiven Einfluss auf den Parkinson hat. Inzwischen gibt es verschiedenste Studien, die den therapeutischen Effekt von Musik und Tanz auf Menschen mit Parkinson differenzierter untersucht haben. Der Tango wurde dabei als Königsdisziplin entdeckt, denn die ausgeprägten Unterbrechungen in der Schrittfolge, die schnellen Richtungswechsel und die Verlagerung des Gleichgewichts von einem Bein auf das andere fordern das Gefühl für Rhythmus und Koordination besonders stark heraus. Und an genau diesen beiden Punkten hakt es typischerweise bei den Erkrankten.

Wenn man im OFF ist und sich nicht mehr fortbewegen kann, dann liegt es daran, dass ausgerechnet die Bewegungen, die wir automatisch ausführen, wie zum Beispiel das Laufen, nicht mehr so gut vom Gehirn aus gesteuert werden können. Wir müssen also das Bewegungsmuster des Laufens wieder lernen und das erreichen wir, indem wir die Bewegungen bewusst durchführen. Dabei können Musik und klare Schrittfolgen sehr gut helfen. Denn sie setzen Impulse und geben den Rhythmus vor, die wir brauchen, um in die gleichmäßige Bewegung zu kommen und darin zu bleiben.




Nach dieser durchtanzten Nacht wurde mir einmal mehr wieder bewusst, wie schwer es sein wird, den Parkinson in Schach zu halten, je weiter er fortschreitet. Wie wichtig es jetzt schon ist, konstant in der Bewegung zu bleiben und jede Herausforderung anzunehmen und zu meistern. Umso wichtiger wird es dann in späteren Jahren mit zunehmender Bewegungslosigkeit sein, das Laufen und Tanzen zur obersten Priorität zu machen und damit die Beweglichkeit zu bewahren, so lange es geht. Und einmal mehr bin ich glücklich darüber, heute meine Leidenschaft und Freude beim Tanzen mit anderen teilen zu können.