Ärzte und Patienten - Foto / Heino Sartor

Ich freue mich riesig! Meine Kollegin Barbara Wessel hat sich bereit erklärt, einen Gastbeitrag für Balance mit Schlagseite über unser Tanztheater "The Other Me" zu schreiben. Bevor ihr weiter lest solltet ihr wissen, dass sie sich bis zu dieser Aufführung noch nicht mit Parkinson auseinandergesetzt hat.

Was ist Parkinson? Und wie gehen Betroffene damit um, wenn sie die Diagnose bekommen? Mit dem Tanzprojekt "The Other Me" hat sich die Freeze'n'Flow Dance Company ein Thema vorgenommen, das alles andere als einen leichten Abend verspricht. Und trotzdem ist der Saal im Sprechwerk Hamburg an diesem Donnerstabend bis auf den letzten Platz besetzt. Die Premiere war bereits am Vortag.
Den Anfang macht Ulli, ein an Parkinson erkrankter Tänzer. Ganz allein steht er im Rampenlicht. Als Dirigent führt er ein fiktives Orchester: furios und ohrenbetäubend - gleichzeitig still und lautlos. Er gibt alles, Hochspannung bis in die Fingerspitzen. Nach diesem eindringlichen Auftakt füllt sich die Bühne nach und nach mit allen Tänzerinnen und Tänzern: sieben an Parkinson erkrankte Frauen und Männer - die Freeze'n'Flow Dance Company und acht professionelle Gasttänzerinnen und -tänzer. Scheinbar unvereinbar die Fronten: Auf der einen Seite die Verzagten, die Rat suchenden, müde und erschöpft von der Suche nach der Frage: Was ist mit mir los? Auf der anderen Seite eine geschmeidige Armee von Gesundheitsexperten in weißen Kitteln, jung, stark und über jeden Zweifel erhaben. Eine Reihe weißer Stühle vor dunklem Blau, das im Nichts endet, markieren das Wartezimmer. Die Patienten nehmen Platz, bereit für die Diagnose.
Ingrid - Foto / linksmitterechts
Eine Stimme aus dem Off erzählt die Geschichte von Ingrid, stellvertretend für alle, die auf den einen - erbarmungslosen - Satz hinausläuft: "Sie haben Parkinson". Ruhig und vorsichtig ausgesprochen, doch er sitzt wie ein Peitschenhieb. Wie soll es nun weitergehen? Wie damit leben? Ein einsamer Lichtstrahl richtet sich auf May, noch unter dem Schock der Diagnose richtet sie sich auf, fällt wieder in sich zusammen, windet sich, fasst neuen Mut, bäumt sich auf. Getanzte Ohnmacht, auch für mich als Außenstehende tut sie weh.
Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Nun heißt es, der Wahrheit ins Auge zu sehen, mit der Krankheit umzugehen, sie anzunehmen, die Umwelt zu informieren. Die Götter in Weiß entledigen sich ihrer Kittel, darunter kommt nachtfalterblau, weich fließender Stoff zum Vorschein. Die so unterschiedlichen Gruppen mischen sich: Gesund und Krank tanzen miteinander, die Grenzen verschwimmen. Jeder findet sein Pendant - das „andere Ich“. Und über allen schwebt, ein Kopf größer, Tänzer Kelly, alle vereinend. Es wird Schulterschluss gesucht, Brücken werden gebaut, Wege mit der Krankheit, umzugehen. Jeder der Erkrankten kommt auf der Bühne zum Einsatz, findet seine Rolle, wird kreativ.
Zusammen - Foto / linksmitterechts
Morbus Parkinson, erfahren wir im Laufe des Abends, kann jeden treffen. Bei den meisten tritt die Erkrankung im Alter von 50 bis 60 Jahren ein, nur selten ist sie genetisch bedingt. Das sitzt. Keine Garantie für niemanden. Eine absolut eindringlich performte Lektion in Sachen Demut, ohne  anzuklagen. Und so hat die Vorstellung trotz allem auch etwas Tröstliches - und diese Botschaft von Choreographin Lena Klein und ihrem Ensemble ist angekommen: Es tut gut, sich zusammentun! Mehr als das. Am Ende stehen alle im Saal auf: Minuten lang brennender Applaus. Also, falls es eine weitere Auflage gibt von "The Other Me", unbedingt ansehen!